Biodiversität muss gestärkt werden
Einen Tag bevor die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) den Deutschen Umweltpreis vergibt, findet das jährliche DBU-Symposium statt. Auch in diesem Jahr steht das Thema Biodiversität im Zentrum der Vorträge und Diskussionen. Der Bevölkerung soll plastischer vor Augen geführt werden, dass es ohne Mücken keine Schokolade gibt und ohne Natur kein Aspirin und Penicillin.
Osnabrück/Lübeck. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) ruft Wirtschaft und Politik dazu auf, die Belange der Biodiversität viel stärker als bisher zu berücksichtigen. „Eine naturverträgliche Ökonomie muss Standard werden“, so DBU-Generalsekretär Alexander Bonde. Wie das gelingen kann, erörtert ein DBU-Symposium am Samstag, 28. Oktober, von 14 bis 16 Uhr in Lübeck – also einen Tag, bevor die DBU den mit 500.000 Euro dotierten diesjährigen Deutschen Umweltpreis an Klimawissenschaftlerin Prof. Dr. Friederike Otto sowie Holzbau-Pionierin Dipl.-Ing. Dagmar Fritz-Kramer verleiht, überreicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Das DBU-Symposium wird live übertragen: https://www.dbu.de/uwp23-symposium.
Bonde: Unternehmen haben mächtigen Hebel zum Erhalt der Biodiversität
Nach Bondes Worten soll das Symposium ein Schlaglicht auf das Thema Biodiversität werfen „und auf deren enorme Bedeutung für die Wirtschaft. Denn anders als beim Klimaschutz steht der Erhalt biologischer Vielfalt noch längst nicht überall oben auf der Agenda.“ Der DBU-Generalsekretär: „Ein solches Schattendasein für weltweit so wichtige Zusammenhänge ist aus wirtschaftlicher Sicht aber höchst riskant. Wenn die menschengemachte Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen weitergeht wie bisher, hat das eklatante Folgen für die Unternehmen weltweit.“ Tatsächlich wird rund die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts – im Jahr 2021 waren das etwa 90 Billionen Euro – durch natürliche Ökosystemleistungen erbracht. Bonde: „Darauf müssen wir aufpassen – sowohl aus Umweltsicht als eben auch in ökonomischer Perspektive: Die Wirtschaft weltweit würde sonst in unabsehbare Turbulenzen stürzen.“ Die Unternehmen haben Bonde zufolge zugleich einen „mächtigen Hebel zum Erhalt der Biodiversität in der Hand: durch Anpassen von Produktionsprozessen und durch schonenden Umgang mit Natur-Ressourcen“.
Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteile durch Biodiversitätsstrategie
Darauf weist auch Dr. Tobias Raffel hin, Gastwissenschaftler an der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Zum DBU-Symposium wird er mit einem Impulsvortrag beitragen – ebenso wie Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und Träger des Deutschen Umweltpreises der DBU im Jahr 2022. Unternehmen sollten sich Raffel zufolge jetzt „systematisch und strategisch“ mit dem Thema Biodiversität auseinandersetzen – nicht nur wegen des zunehmenden regulatorischen Drucks und die Anforderung, bald über Abhängigkeiten von der Natur und Auswirkungen auf die Natur berichten zu müssen. Ein erster Schritt sei, sich die Risiken bewusst zu machen, die etwa entstehen, wenn bestimmte Produkte aus der Natur nicht mehr zur Verfügung stehen oder knapp und teuer werden. Raffel: „Wer jetzt eine gute Biodiversitätsstrategie entwirft, kann sich neue Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteile verschaffen.“
Verlust von Natur und biologischer Vielfalt in dramatischer Geschwindigkeit
Die Wirtschaft sei auf die Leistungen der Natur angewiesen, sagt Raffel. Ein Supermarkt in Hannover habe diese Abhängigkeit einmal demonstriert und alle Waren aus den Regalen geräumt, die es ohne natürliche Bestäubung nicht gäbe. Raffel: „60 Prozent der Regale blieben leer: kein Obst, kein Gemüse, kein Kaffee, keine Schokolade. Und weder Gummibärchen noch Tiefkühl-Pizza oder Wattepads.“ Bienen sind dabei oft die Bestäuber, aber auch andere Insekten erbringen diese wichtige und kostenlose Ökosystemleistung. „Die Produktion von Kakao etwa hängt von der Bestäubung durch eine bestimmte Mücke ab. Ohne Mücken gibt es keine Schokolade“, sagt Raffel. „Derzeit verlieren wir Natur und biologische Vielfalt in dramatischer Geschwindigkeit“, so der Wissenschaftler weiter. Nicht nur die Lebensmittelbranche, auch andere Wirtschaftszweige wie die Pharmaindustrie seien betroffen. Raffel: „Mehr als zwei Drittel aller medizinischen Wirkstoffe stammen aus der Natur. Medikamente wie Penicillin und Aspirin gäbe es ohne natürliche Substanzen nicht.“ Vor allem aber berauben sich die Menschen laut Raffel „auch der Möglichkeit, neue Wirkstoffe zu entdecken und innovative Medikamente beispielsweise gegen Krebs zu entwickeln, wenn wir die biologische Vielfalt weiter zerstören“.
Schenck: Es lohnt sich, in eine intakte Natur zu investieren – auch um fatale Krankheitswellen zu verhindern
Einen eindringlichen Appell richtet auch Schenck an die Betriebe: „Die Wirtschaft sollte sich tatkräftig gegen den Verlust der Biodiversität einsetzen – aus moralischer Verpflichtung, vor allem aber aus purem Eigennutz. Denn es geht ums Überleben der Unternehmen.“ So, wie die Menschen derzeit „auf Kosten der Zukunft leben und konsumieren“, werde es den Planeten in den Ruin führen. Global verbrauchen, wohnen und wirtschaften die Menschen laut Schenck so, „als hätten sie 1,7 Erden zur Verfügung“. Hoffnung hat er gleichwohl: „Die Wirtschaft kann eine Menge gegen den Biodiversitätsverlust tun. Unternehmen, die ihren Biodiversitäts-Fußabdruck heute analysieren und reduzieren, werden morgen die Nase vorne haben.“ Warum sich der Erhalt biologischer Vielfalt allein schon aus Kostengründen lohnt, verdeutlicht Schenck an einem Beispiel aus jüngster Vergangenheit. Es gebe, so Schenck, einen engen Zusammenhang zwischen dem Verlust der Biodiversität und der Ausbreitung gefährlicher Krankheiten, vor allem von Zoonosen. Also Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übergehen. Schenck: „Die Corona-Pandemie kostete die deutsche Wirtschaft rund 350 Milliarden Euro. Da lohnt es sich, in intakte Natur zu investieren, um solche fatalen Krankheitswellen zu verhindern.“