Insektengift im Essen
Da der Einsatz vieler bislang üblichen Insektengift-Typen von der EU eingeschränkt wurde, werden von den Landwirten vermehrt andere noch zugelassene Gifte dieser Gruppe verwendet. Die Verbraucherorganisation foodwatch hat Ergebnisse deutscher Lebensmittelüberwachungsbehörden ausgewertet und festgestellt, dass die Belastung durch das Pestizid Acetamiprid in Obst und Gemüse fast drei Mal so hoch ist wie vor zehn Jahren.
Sehr häufig wurde das Insektizid in Süßkirschen, Pomelos, Zucchini, Auberginen, Spinat und Paprika gefunden. foodwatch forderte die Zulassung von Acetamiprid zurückzuziehen bis alle Studien in die Überprüfung einbezogen und strenge gesetzliche Grenzwerte festgelegt seien. In Frankreich ist das Pestizid bereits verboten. Studien hatten Rückstände des Mittels sogar in Gehirnen von Kindern und Erwachsenen nachgewiesen.
„Weil die EU bestimmte Neonicotinoide verboten hat, verspritzen Landwirt:innen andere Mittel umso mehr. Seit Jahrzehnten werden gefährliche Chemikalien gegen ebenso problematische ‚Alternativen‘ ausgetauscht. Mit diesem Teufelskreis muss endlich Schluss sein! Wir brauchen einen Ausstieg aus der Chemie-Landwirtschaft“, sagte Lars Neumeister, Pestizidexperte bei foodwatch.
foodwatch hatte bei der Durchsicht von Sitzungsprotokollen des zuständigen EU-Ausschusses (ScoPAFF) herausgefunden, dass ein EU-Mitgliedstaat im September 2022 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass es sehr hohe Rückstände des Metaboliten gibt und die gesetzlichen Höchstgehalte die Verbraucher:innen nicht schützen. Auch die Tatsache, dass der Acetamiprid-Metabolit in Gehirnen von Kindern nachgewiesen wurde, wurde thematisiert.
foodwatch hatte daraufhin beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) umfassende Daten zur Pestizid-Belastung abgefragt – Ergebnis: Während 2012 bei 2,1 Prozent aller auf Acetamiprid getesteten Lebensmittelproben Rückstände gefunden wurden, waren es 2021 7,4 Prozent. Der Acetamiprid-Metabolit, also das chemische Abbauprodukt, (Acetamiprid-Metabolit N-Desmethylacetamiprid) wurde 2021 fast doppelt so oft in Lebensmittelproben gefunden wie fünf Jahre zuvor: 2017 wurden bei 4,7 Prozent aller Proben Rückstände gefunden, 2021 bei 9,2 Prozent. Die tatsächliche Belastung ist laut foodwatch wahrscheinlich noch höher, da die Behörden nicht standardmäßig auf den Stoff testen – weil es keinen Grenzwert gibt.
Erst kürzlich war publik geworden, dass mehrere Pestizidhersteller den europäischen Aufsichtsbehörden bewusst Studienergebnisse zur Neurotoxizität vorenthalten hatten, obwohl sie dieselben Ergebnisse den amerikanischen Aufsichtsbehörden vorgelegt hatten.
„Der Fall Acetamiprid zeigt einmal mehr: Das Pestizid-Zulassungsverfahren in der EU hat gefährliche Lücken und muss komplett auf den Prüfstand”, forderte Lars Neumeister von foodwatch.
Acetamiprid ist ein Breitspektrum-Insektizid, das zur chemischen Klasse der Neonicotinoide gehört und das Nervensystem von Insekten angreift. Ein Metabolit ist ein Stoffwechselprodukt, das entsteht, wenn ein chemischer Stoff im Körper abgebaut wird. Acetamiprid und sein Metabolit können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und der Metabolit wurde sogar in Kindergehirnen gefunden. Untersuchungen von Gehirnflüssigkeiten zeigen einen „Cocktail“ verschiedener Neonicotinoide und derer Metabolite. Eine Reihe von Neonicotinoiden hat die Europäische Union 2018 verboten. Andere Insektengifte aus dieser Gruppe sind aber weiterhin zugelassen.
Übersicht: Daten des BVL zur Acetamiprid-Belastung:
Quellen und weiterführende Informationen:
– Auswertung: Fundraten Acetamiprid: https://www.foodwatch.org/fileadmin/-DE/Themen/Pestizide/Dokumente/Fundraten_Acetamiprid.pdf
– Auswertung: Nachweisliste Acetamiprid: https://www.foodwatch.org/fileadmin/-DE/Themen/Pestizide/Dokumente/Nachweise_Acetamiprid.pdf
– Datenbank des BVL: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/01_Aufgaben/02_AmtlicheLebensmittelueberwachung/07_PSMRueckstaende/01_nb_psm_2021_tabellen/nbpsm_2021_tabellen_node.html
– Sitzungsprotokoll des EU-ScoPAFF-Ausschusses (September 2022): https://www.foodwatch.org/fileadmin/-DE/Themen/Pestizide/Dokumente/sc_phyto_20220926_ppr_sum_0.pdf
– Frankreich verbietet Mittel wie Acetamiprid: https://www.rfi.fr/en/20180901-france-bans-bee-killing-insecticidesStudie zu Neonicotinoiden in Kinder-Gehirnen:
– https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8750865/
– Studie zu Neonicotinoiden und Metaboliten im Gehirn: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9746793/